Zum Rückgang des Stintbestands in der Tideelbe

Der Stint wandert in großen Schwärmen die Tideelbe hoch, um dort zu laichen. Foto Institut für angewandte Ökologie GmbH

Der Stint gehört zu den Schlüsselarten der Tideelbe. Ein von uns beauftragtes Gutachten zeigt, dass der Stintbestand in der Tideelbe in den letzten Jahren rückläufig war. Ein Zusammenhang mit den gestiegenden Unterhaltungsbaggerungen, den Kühlwasserentnahmen und den Verlusten an Flachwasserbereichen im Mühlenberger Loch ist plausibel. Wir führen unsere Untersuchungen fort mit dem Ziel, künftig konkrete Maßnahmen zur Förderung des Stintbestands zu entwickeln.

Der Stint

Der Stint (Osmerus eperlanus) ist ein schlanker, silbrig glänzender Meeresfisch. Er wird 15-18 cm, max. 30 cm groß und bis zu 6 Jahre alt. Er lebt in den europäischen Küstengewässern und zieht im Winter zum Laichen die großen Flüsse hinauf. Über den Sommer ziehen die Tiere, auch die Jungfische, wieder zurück Richtung Meer.

Im Februar und März, wenn die Wassertemperatur höher als 6°C ist, wandert der Stint auch die Tideelbe hinauf. Er laicht heute vornehmlich über den sandigen Bereichen und ernährt sich vornehmlich von Planktonkrebsen. Selbst ein Raubfisch, dient er anderen Tieren, z.B. Zander, Zwergmöwe oder Kormoran ebenfalls als Nahrung. Die Flussseeschwalbenkolonie bei Neufeld in der Elbmündung ernährt sich vornehmlich vom Stint und passte ihren Lebenszyklus völlig an die Stintwanderungen an. Auch der Mensch schätzt den Stint als leckeren Speisefisch.

Früher kam der Stint in großen Mengen in der Elbe vor. Durch die Verschmutzung der Elbe ging sein Bestand zurück. Er erholte sich deutlich, nachdem sich die Wasserqualität ab den neunziger Jahren wieder verbesserte.

Inzwischen hat sich dies wieder geändert. Nachdem die Fangmengen der Fischer ernstzunehmende Hinweise auf einen Rückgang des Stintbestands in der Tideelbe gaben, beauftragten wir eine Analyse vorliegender Behördendaten aus den Jahren 2000 - 2018, um Rückschlüsse auf die Entwicklung der Stintpopulation in der Tideelbe und ihre Ursachen zu ziehen.

Das Gutachten besteht aus zwei Teilen:

  • Analyse der Entwicklung des Stintbestands und Vergleich mit den drei anderen Nordseeästuaren (Stand September 2019)
  • Ursachenanalyse (Stand Februar 2020)

Um die bereits ermittelten Ursachen genauer zu untersuchen, beauftragten wir Ende 2020 ein Folgegutachten. Ziel ist, Maßnahmen zur Förderung des Stintbestands vorzulegen.

Ergebnisse des Gutachtens aus den Jahren 2019 und 2020: 

 

1. Entwicklung des Stintbestands

Es wurden verfügbare Fangdaten aus der Tideelbe, aber auch aus den Ästuaren von Ems, Eider und Weser zusammengestellt und mit statistischen Verfahren analysiert. Die Daten stammen aus unterschiedlichen Untersuchungsprogrammen, die zwar nicht explizit auf den Stint abgestellt waren, aber dennoch Rückschlüsse auf die Stintvorkommen zulassen.

Die Auswertungen bekräftigen, dass eine rückläufige Tendenz der Entwicklung des Stintbestandes in der Tideelbe vorliegt.

Das Gutachten fasst folgende Befunde zusammen:

  • Die interannuelle Variabilität der Stintfangzahlen mit Hamen und Ringnetz ist hoch.

  • Auswertung der Daten der Hamenfänge:Der WRRL-Datensatz 2000 bis 2018 (Hamen) zeigt - unterschiedlich für die verschiedenen Wasserkörper - schwach bis deutlich abnehmende Fangzahlen des Stints.

    Die Fangzahlen Adulter (Frühjahrs- und Herbstdaten aggregiert), Subadulter (Frühjahr) und Juveniler (AG 0+, Herbst) sind insbesondere in jüngerer Vergangenheit (etwa in den letzten drei Jahren) überwiegend niedriger als in den Vorjahren.Hierzu einige Abbildungen aus dem Gutachten am Beispiel des Bereichs westlich von Lühesand (Grafiken: BIOCONSULT):
  • Mann-Kendall-Tests der Daten der Hamenfänge:

    Der Mann-Kendall Test ergab für den Zeitraum 2000 - 2018 für die OWK West & Ost eine signifikant rückläufige Tendenz der Fangzahlen adulter Stinte; für die OWK T1 und Hafen war dies nicht der Fall.

    Der Mann-Kendall Test ergab für den Zeitraum 2000 - 2018 für die OWK T1 & West eine signifikant rückläufige Tendenz der Fangzahlen subadulter Stinte; für die OWK Hafen und Ost war dies nicht der Fall.

    Der Mann-Kendall Test ergab für den Zeitraum 2000 - 2018 für die OWK West, Hafen & Ost eine signifikant rückläufige Tendenz der Fangzahlen juveniler Stinte; für den OWK T1 war dies nicht der Fall.

    Hierzu einige Abbildungen aus dem Gutachten (Grafiken: BIOCONSULT):
  • Segmentierte Regressionsanalysen deuten einen negativen „Sprung“ der Fangzahlen, je nach Altersklasse, zwischen 2010 und 2015 an. Dies ist für die adulten Stinte weniger deutlich, für die AG subadult und juvenil deutlicher.

    Hierzu einige Abbildungen aus dem Gutachten (Grafiken: BIOCONSULT): 
  • Die Wahrscheinlichkeit eines Fanges mit höheren Stintzahlen war in den letzten Jahren geringer. So waren für Fänge mit >2.000 Ind./1 Mio. m³ subadulter Stinte (OWK West) im Zeitraum 2000 – 2005 etwa zwei Hols erforderlich. Im Vergleich dazu war der quantitative Fangerfolg im Zeitraum 2014 – 2018 erkennbar geringer. So waren in diesem Zeitraum 5 Hols erforderlich, um in einem davon eine Anzahl von >2.000 Ind./1 Mio. m³ zu erreichen.

  • Der WSA-Datensatz 2011 bis 2018 (Ichthyoplankton Ringnetz) zeigt weitgehend gleichsinnig zu den Hamendaten auch abnehmende Larvenzahlen. Hierzu die Grafik aus dem Gutachten (Grafik: BIOCONSULT):
  • Die überblickshaften Auswertungen der Hamenfänge aus den Ästuaren Ems, Weser und Eider zeigen abweichend von den Elbeergebnissen nur eingeschränkt bzw. kaum gerichtete Entwicklungsmuster der Stintzahlen (alle AG, Ausnahme Eider, subadult) über die Zeit. Daher sind deutliche Hinweise auf einen ggf. großräumigen ästuarübergreifend rückläufigen Trend der Stintzahlen nicht klar abzuleiten.

    Hierzu einige Abbildungen aus dem Gutachten (Grafiken: BIOCONSULT):
  • Die Befunde der ästuarinen Vergleiche lassen vermuten, dass insbesondere der Tideelbe besondere Bedeutung für den Stintbestand zukommt. Die sehr hohen Fangzahlen in der Eider könnten durch Elbstinte „subventioniert“ sein, da der „eigene“ Reproduktionsumfang in der Eider gering scheint. Die Überprüfung dieser Annahme konnte im Rahmen des Gutachtens nicht geleistet werden.

  • Analoge Hinweise auf rückläufige Stintvorkommen in den anderen Ästuaren waren nicht klar ersichtlich, so dass die Annahme eines großräumigen Trends nicht naheliegt.

Aus den Ergebnissen des Gutachtens kann eine generelle Bestandsgefährdung jedoch nicht abgeleitet werden. Ob und ab wann ein fortschreitender Rückgang die Stabilität des Stintbestands gefährdet, war nicht Untersuchungsgegenstand der Studie. Eine Gefährdung ist aber nicht auszuschließen, wenn sich die in den letzten Jahren verzeichnete Tendenz fortsetzt.

Das Gutachten steht hier zum Download bereit.

2. Einflussfaktoren

Als mögliche Einflussfaktoren wurden die Parameter "Temperatur", "Sauerstoff", "Salzgehalt", "Oberwasserzufluss", "Trübung", "Kühlwasserentnahme", "Unterhaltungsarbeiten", "Verkleinerung von Flachwasserzonen im Mühlenberger Loch", "Ernährungsgrundlage" und "Präsenz von Prädatoren" zum Teil auch statistisch analysiert.

Es lässt sich schlussfolgern:

  • Der Stintbestand unterliegt multiplen Stressoren, deren Beeinträchtigungsintensität von 2000 - 2018 zum Teil deutlich zugenommen hat. Die folgenden Grafiken zeigen beispielhaft und in Ergänzung zu "1. Entwicklung des Stintbestands" den Rückgang des Stintlarvenbestands im Längsprofil der Tideelbe:
    • Stintlarven im Längsprofil der Tideelbe 2011/12. Grafik BIOCONSULT
    • Stintlarven im Längsprofil der Tideelbe 2013/14. Grafik BIOCONSULT
    • Stintlarven im Längsprofil der Tideelbe 2017/18. Grafik BIOCONSULT
  • Obwohl statistische Korrelationen nicht notwendigerweise einen kausalen Zusammenhang bedeuten, ist es insgesamt plausibel, dass vor allem die Faktoren "Verlust von Flachwasserbereichen im Mühlenberger Loch", "Unterhaltungsarbeiten" und "Kühlwasserentnahme"  sowie möglicherweise auch der Faktor "Trübung" einen Einfluss auf die in den letzten Jahren abnehmenden Abundanzen des Stints gehabt haben. Hierzu einige Grafiken aus dem Gutachten:
    • Abnahme von Flachwasserbereichen im Mühlenberger Loch. Grafik BIOCONSULT
    • Entwicklung des Wassermengenbedarfs für Wasserinjektionen in den OWK Hafen und West. Grafik BIOCONSULT
    • Entwicklung der Hopperbaggerei in den OWK Hafen und West. Grafik BIOCONSULT
    • Temporärer Anstieg der genehmigten Kühlwasserentnahmemengen im Wasserkörpter Hafen. Grafik BIOCONSULT
  • Der Anstieg der Faktoren "Unterhaltungsarbeiten" und Trübung" korreliert der Abnahme des Faktors Oberwasserzufluss". Hierzu einige Grafiken aus dem Gutachten:
    • Abnahme des Oberwasserzuflusses im März und April. Grafik BIOCONSULT
    • Abnahme des Oberwasserzuflusses im Mai und Juni. Grafik BIOCONSULT
    • Anstieg der Trübung in den Monaten April und Mai. Grafik Bioconsult
    • Entwicklung der Hopperbaggerei im OWK Hafen. Grafik BIOCONSULT
    • Entwicklung der WI-Wasserbedarfs im OWK Hafen. Grafik BIOCONSULT
  • Es ist nicht auszuschließen, dass schon länger vorhandene Belastungssituationen wie ein "ausgeprägter Sauerstoffmangel" (z.B. <3 mg/l) oder die Schadstoffbelastung kumulativ nunmehr verstärkt wirksam werden.

  • Die absolute Bedeutung dieser Faktoren für den Rückgang des Stints in der inneren Unterelbe ist auf der Grundlage der bisher vorliegenden Daten nicht zu bestimmen. Von einem kumulativen Zusammenwirken dieser und möglicherweise weiterer Parameter ist auszugehen. 

  • Für ein besseres Verständnis der Bestandsdynamik vor dem Hintergrund der Belastungskulisse in der Elbe sind noch Wissenslücken zu füllen. 

Das Gutachten steht hier zum Download bereit.

 

Aktuelles aus den weiteren Untersuchungen

Ein potenzieller Faktor für den Rückgang des Stintbestands in der Tideelbe ist die Trübung. Möglicherweise verhungern die Jungstinte, da sie aufgrund der eingeschränkten Sicht keine Nahrung im Wasser finden. Um diese Vermutung wissenschaftlich zu untersuchen, haben wir BioConsult mit der Zucht von Stinten beauftragt. So können wir die Nachzucht später unter verschiedenen Trübungsbedingungen bei der Nahrungsaufnahme beobachten.

In unserem Auftrag ist es BioConsult erstmals in Deutschland gelungen, Stinte über die Dottersackphase hinaus zu züchten und erfolgreich zu ernähren.

  • Die Mich des Männchens wird über Rogens des Weibchens gegossen. Foto BioConsult
  • Nach der Befruchtung bleiben die Eier bis kurz vor dem Schlupf in Inkubatoren. Foto BioConsult
  • Stintlarve mit gut gefüllten Magen (orange Färbung). Foto SLE

 

Stand April 2022